Erwartung enttäuscht? Antwort an einen Leserbrief in der Mitteldeutschen Zeitung.
Es wäre aufschlussreich gewesen zu erfahren, welche Erwartungen der Leser hinsichtlich der künstlerischen Umsetzung eines Wolff-Denkmals hegte. Offenbar doch wohl nicht die Gestalt einer Figur mit Allonge-Perücke und barocker Gewandung – oder doch? Göbels Anäherung an eine solch komplexe Persönlichkeit, die Wolff nun einmal war, musste, darüber waren sich der Künstler und die Initiativgruppe Wolff-Denkmal einig, anderen Intentionen folgen. Der Darzustellende sollte von allen Äußerlichkeiten befreit und der sich darunter verbergende Mensch sichtbar werden. Göbel entschloss sich zu einer, wie ich das sehe, säkularisierten Ecce-homo-Darstellung. Er zeigt einen in Würde gealterten Menschen, verletzlich, demutsvoll und doch zugleich bereit zum Dialog mit dem auf ihn zutretenden Betrachter. Seine Gestik lädt ihn ein, näher zu treten, sich mit ihm in ein Gespräch einzulassen. Der Dialog galt in Zeiten der Aufklärung als eine wichtige Form der Erkenntnisgewinnung. Der Philosoph Jürgen Habermas hat an verschiedenen Stellen auf den Prozess der Aufklärung, das „unvollendete Projekt der Moderne“, verwiesen. Göbels Wolff fordert die Vorübergehenden geradezu auf, an der Durchsetzung dieses Projektes mitzuwirken. Unsere Zeit, das machen die vergangenen Monate deutlich, benötigt mehr denn je einen öffentlichen Austausch von Meinungen. Göbels Denkmal leistet dazu einen gewichtigen Beitrag.
Hans-Joachim Kertscher